Jugendliche interessieren sich laut einer Studie des Arolsen-Instituts wieder stärker für den Nationalsozialismus
Die Behandlung der NS-Schreckensherrschaft im Unterricht stellt Lehrerinnen und Lehrer vor besondere Herausforderungen. Sie müssen sich fragen, wie sie für die Monstrosität von Krieg und Völkermord angemessene pädagogische Zugänge finden. Dabei dürfen sie die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund nicht aus dem Blick verlieren.
Die Ende Januar 22 von den Arolsen Archives herausgegebene repräsentative Studie Die Gen Z und die NS-Geschichte: hohe Sensibilität und unheimliche Faszination analysiert die Bedeutung der NS-Geschichte für die Generation Z und kommt zu interessanten Ergebnissen, über die es sich bei der Gestaltung des Unterrichts zu diesem Thema nachzudenken lohnt.
Wichtige Ergebnisse, die für den Unterricht relevant sein können, hier kurz zusammengefasst:
Überraschend großes Interesse der 16-25-Jährigen (Generation Z)
Obwohl der Nationalsozialismus inzwischen acht Jahrzehnte zurückliegt, zeigt die Studie, dass diese Generation eine hohe Bereitschaft zeigt, sich mit der NS-Zeit zu beschäftigen. Die 16-25-Jährigen sind deutlich mehr an dieser Epoche interessiert als die Generation ihrer Eltern. Außerdem sieht die Generation Z lt. Studie Anknüpfungspunkte zwischen dem Nationalsozialismus und gegenwärtigen Erscheinung wie Fake News, Verschwörungstheorien, Rassismus und Ausgrenzung.
„Mutprobe NS-Zeit: unheimliche Faszination und hohe Sensibilität der Gen Z“ (Presseerklärung der Arolsen Archives vom 25.1.22)
In der Presseerklärung vom 25.1.22 der Arolsen Archives heißt es, dass sich das überraschend hohe Interesse der Generation Z auch durch „ihre besondere Lebenssituation in einer komplexen Welt mit einer multioptionalen Bereitstellungskultur“ erklären ließe.
Laut Studie stellt der Nationalsozialismus für die Jugendlichen ein extremes Gegenbild zur eigenen Lebenswirklichkeit dar, in der sie viele Wahlmöglichkeiten hätten, sich frei entscheiden könnten und ihnen viele Entfaltungswege offen stünden.
Die autoritäre Struktur des NS-Regimes werde von den 16-25-Jährigen als absolut konträres Gegenbild der eigenen Lebenswelt erlebt und übe so auch einen gewissen Reiz aus. „Dieser multioptionalen Bereitstellungs-Kultur steht die entschiedene Dominanz-Kultur der NS-Zeit mit ihren ganz klar festgelegten Kategorien, Vorstellungen und Überzeugungen entgegen. Der Führerkult, die Pflicht zum unbedingten Gehorsam und zum völkischen Denken, dem sich das Individuelle und Diverse beugen musste, macht die NS-Zeit zum ebenso faszinierenden wie schrecklichen Gegenbild“, heißt es in der Studie.
Eine Mehrheit der jungen Studienteilnehmer findet, dass man einen gewissen Mut haben müsse, um sich mit der NS-Zeit zu beschäftigen. Das Monströse der NS-Verbrechen löse eine Mischung aus Angst und Faszination aus und damit auch die Angst, von bedrückenden Gefühlen überwältigt zu werden.
Anforderungen an den Unterricht
Für die Studie wurden 1000 Teilnehmer aus zwei Gruppen befragt: die Generation Z (16-25 Jahre) und die Elterngeneration (40-60 Jahre). Die Ergebnisse zeigen, dass die junge Generation das Thema NS-Zeit offener diskutieren will als Elterngeneration. Der Grund dafür liegt laut Studie darin, dass für die jungen Menschen die Frage nach persönlicher Schuld und familiären Verstrickungen keine Bedeutung mehr habe.
Sie wollen einen offenen Diskurs ohne vorgefertigte Erwartungen, bei dem sie frei über die NS-Zeit diskutiert können.
Die Generation Z wünscht sich die Bereitstellung digitaler Medien, die sie in ihrer Lebenswirklichkeit abholt, zeigt ein weiteres Ergebnis. Aber auch der Erhaltung und Pflege analoger Angebote (z.B. Gedenkstättenbesuche) werde eine besondere Bedeutung beigemessen. Dabei sei eine digitale Nachbereitung wichtig.
Die Vielschichtigkeit des Themas könne ein Gefühl der Überforderung entstehen lassen und damit die Angst, dem Anspruch an so ein komplexes Wissen nicht gerecht zu werden. Daraus leiten die Autoren der Studie ab, dass die Lernenden nicht mit der kompletten NS-Geschichte erschlagen werden dürfen. Vielmehr sollten einzelne Themen kurz, verständlich und konkret angeboten werden. Wahre Geschichten von Einzelpersonen und deren Lebenswelt finden besonderes Interesse. Als konkrete Bezüge bieten sich hier regionale und lokale Orte und Begebenheiten an.