Erinnerungskultur in Schul- und Unterrichtsentwicklung
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Gedenkstättenbesuche als Baustein schulischer Erinnerung
Von Anne Ackers-Weiss
Der gut vorbereitete Besuch einer Gedenkstätte, dem eine angemessene Auswertung folgt, ist sicherlich für die beteiligten Schülerinnen und Schüler ein wertvoller Akt der Selbstvergewisserung für gegenwärtiges und zukünftiges politisches Denken und Handeln. Es ist jedoch nachhaltiger, wenn der Besuch von Gedenkstätten eingebunden ist in die Erinnerungskultur einer Schule. Schulen, die sich für eine fest vereinbarte, gemeinsame Erinnerungskultur entscheiden, ermöglichen es Schülerinnen und Schülern sich zu vergewissern, dass es Zeiten in Deutschland gab, in denen demokratische Grundwerte nicht galten bzw. ins Gegenteil verkehrt wurden. Diese Schulen leisten einen wichtigen Beitrag zur Friedens- und Demokratiebildung.
„Nur wer ein Bewusstsein dafür entwickelt, wie normale Menschen in einem scheinbar demokratischen System zu Täter*innen nationalsozialistischen Unrechts werden konnten, ist in der Lage, kritische Fehlentwicklungen in unserer modernen Gesellschaft zu identifizieren und ihnen entgegen zu treten.“
Antrag der Jusos zur Erinnerungskultur in Schulen, Bundeskongress der Jusos 2017
Entwicklung einer Erinnerungskultur als Prozess der Schulentwicklung
Für Schulen, die sich auf diesen Weg machen wollen, ist zunächst notwendig, sich über die Grundsätze einer Erinnerungskultur in den Mitwirkungsgremien verständigen. Im Idealfall spiegelt sich die Erinnerungskultur im Leitbild der Schule wider oder sie ist Bestandteil des Schulprogramms. Um Erinnerungskultur programmatisch zu verwirklichen, bieten sich an:
● Diskussionen geeigneter Themen in den Mitwirkungsorganen
● Fortbildungen in Gedenkstätten,
● Anschaffung geeigneter Lehr- und Lernmittel,
● Vereinbarungen zum fächerübergreifenden Lernen, Bildungspartnerschaften mit Museen und Gedenkstätten.
Es ist Aufgabe der Schulleitung, für die personellen und zeitlichen Ressourcen zu sorgen. Auf lange Sicht sind Erinnerungsprojekte zum Scheitern verurteilt, die nur durch die Eigeninitiative einzelner Lehrkräfte zustande kommen. Selbst langjährige, erfolgreiche Projekte, die nur von einer einzelnen Lehrkraft initiiert und durchgeführt werden, bergen die Gefahr zu versanden, wenn diese Lehrkraft für diese Arbeit nicht mehr zur Verfügung steht.
Schulen, die durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus die Erinnerung an den Holocaust wachhalten, brauchen dazu die notwendige Zeit.
„Um der Gefahr zu begegnen, lediglich eine symbolische Politikinszenierung des “Erinnerns” zu fördern, muss schulisch auch hinreichend Zeit und Raum vorhanden sein, beispielsweise für Empathie und Kontemplation, vor allem aber für die kritische Reflexion auch aktueller Formen der Entdemokratisierung, Ausgrenzung von Minderheiten und Entstehung systemischer politischer Gewalt.“
Artikel der Heinrich Böll Stiftung, 2015
Entwicklung einer Erinnerungskultur auf der Ebene der Unterrichtsentwicklung
Für die konkrete Auseinandersetzung mit den Inhalten einer Erinnerungskultur bieten außer dem Fach Geschichte alle anderen Fächer in allen Jahrgängen Anknüpfungspunkte. Diese können sein:
- Gestaltung von Gedenktagen
- Organisation von Diskussionsrunden
- Gespräche mit Zeitzeugen oder deren Nachfahren
- Besuche von Erinnerungsorten
- Recherche über Stolpersteine vor Ort
- Auseinandersetzung mit aktueller Flucht- und Migrationsproblematik.
Da heute etwa ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund hat, stehen die Schulen vor der Aufgabe, deren kulturelle und religiöse Diversität aufzugreifen und in den Erinnerungsprozess einzubeziehen. Diese Gruppe kommt überwiegend aus Kulturkreisen, in denen das ehrenhafte Gedenken an die ermordeten Jüdinnen und Juden nicht verankert ist. Das Erinnern an die Shoa ist aber grundlegender Bestandteil einer Erinnerungskultur, die sich das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus zur Aufgabe gemacht hat. Dies allen Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, ist eine Herausforderung, der sich die Schule stellen muss.
Weitere Informationen:
Erinnern für die Zukunft, Empfehlungen zur Erinnerungskultur als Gegenstand historisch-politischer Bildung in der Schule
Beschluss der KMK vom 11.12.2014