V. Kuran, Lehrerin
KZ-Gedenkstätte Dachau
Stellungnahme von V. Kuran, Lehrerin an der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule Leverkusen
Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund bilden einen nicht zu vernachlässigenden Anteil im deutschen Bildungssystem. Folglich stellt sich auch die Frage, wie man als Lehrperson mit dieser Vielfalt im Hinblick auf einen Gedenkstättenbesuch umgeht.
Zunächst einmal möchte ich betonen, dass die Gruppe der Schüler islamischen Glaubens keineswegs homogen ist. Der Glaube, in dem Fall der Islam, ist einer von vielen Faktoren, aus denen sich die Identität zusammensetzt. Um ein Beispiel zu nennen, wird ein türkischstämmiger Schüler der 2. oder 3. Einwanderergeneration mit einem aus Afghanistan geflüchteten Schüler, aufgrund von unterschiedlichen Erfahrungen, bis auf ihre Religion vielleicht wenig Gemeinsamkeiten haben. Somit ist es unmöglich allgemeingültige Aussagen zu treffen. Dennoch kann man festhalten, dass der Nationalsozialismus und der Holocaust in der Geschichte ihrer Herkunftsländer oder Familien, zumindest für türkischstämmige Menschen, keine zentrale Rolle spielen und diese in den Familien nicht oder vielleicht sporadisch (evtl. mit lückenhaftem Wissen) thematisiert werden. So wird bei vielen dieser Jugendlichen die Schule sehr wahrscheinlich die Hauptrolle bei der Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus übernehmen. Umso wichtiger ist also die Vermittlung dieses Teils der deutschen Geschichte um Bewusstsein für den Holocaust, somit auch für die verheerenden Folgen von Rassismus und systematischer Missachtung von Menschenrechten zu entwickeln. Auch bei mir, als eine muslimische Frau mit Migrationshintergrund, waren die Schule und vor allem der Besuch des ehemaligen KZ Natzweile-Struthof im Referendariat die Orte und Momente, die mich für das Thema des Holocaust sensibilisiert haben.
Entscheidend für das Verständnis und für die Ziele der Holocaust-Erziehung ist Empathie bei Schülern zu erzeugen. Wenn man nämlich von der vielfältigen Erfahrungswelt einer heterogenen Gruppe von Schülern ausgeht und deren Erlebnissen und Erfahrungen zur Ausgrenzung, Diskriminierung und Flucht Raum gibt, kann der Zugang zu diesem Thema erleichtert werden. An dieser Stelle sind also die interkulturelle Kompetenzen der Lehrperson und der Schüler gefragt, die die kulturelle Vielfalt in der Lerngruppe wertschätzen und jedes Mitglied mit seinen Erfahrungen beachten und anerkennen. Als Lehrerin ist mir wichtig, dass Offenheit und Wertschätzung in Klassenräumen herrschen, damit Schüler sich sicher fühlen und ihre Erlebnisse und Gedanken ohne Bedenken mitteilen können. Das Interesse dieser Schüler und ihre Empathie für die Opfer der NS-Zeit sollte also geweckt werden, indem man ihnen, aufgrund ihrer Erfahrungen und Wertvorstellung (die auf Religion basieren kann) ermöglicht, einen persönlichen Zugang zum Thema zu finden.
Der Nahostkonflikt zwischen Israel und Palästina kann im Leben einiger Schüler islamischen Glaubens einen bedeutenden Platz einnehmen. Die Gründe hierin können in der eigenen Lebensgeschichte (palästinensische Herkunft), im sozialen Umfeld (z.B. Familie, Freunde) oder im Medienkonsum liegen. Der Nahostkonflikt kann nämlich in den Medien verschiedener Kulturen und Länder (aufgrund z.B. geografischer Nähe) unterschiedlich präsent sein. Dieser ist komplex und umfangreich und es ist sicherlich nicht einfach ihn kurz aber auch sachgerecht aufzugreifen. Mit der Betrachtung der NS-Zeit wird den Schülern zweifelsfrei deutlich, dass menschenrechtlichen Ansprüchen gerechtes Handeln ein Grundsatz sein sollte und die systematische Missachtung der Menschenrechte Menschen zu Tätern macht.
So können Schüler gravierende Menschenrechtsverletzungen auch in anderen Kontexten, z.B. im Nahostkonflikt erkennen. Diese sollten jedoch nicht zur Verharmlosung des Holocaust führen. Letztendlich sollten alle Schüler für die Gefahren des Antisemitismus und jede Form von Diskriminierung, die bis zur Verfolgung führen kann, sensibilisiert sein und sich über Konsequenzen ihres Handelns für einzelne Menschen und die gesamte Gesellschaft bewusst werden.
Empathie für die Opfer der NS-Zeit fällt einem Menschen mit moralischen Werten, der sich u.a. an religiösen Handlungsvorschriften wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit orientieren kann, nicht schwer. Die Erfahrungen, die der Mensch mit diesem emotionalen Thema macht, unterstützt ihn dabei, jeder Form von Diskriminierung in einer kulturell heterogenen Gesellschaft entgegenzutreten.