Ein persönlicher Einblick
Foto: Igor Sigov
Interview mit Silvia Savelsberg
Silvia Savelsberg ist Fachleiterin für das Fach Englisch und Kernseminarleiterin am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) in Mönchengladbach. Bis zum Jahr 2018 arbeitete sie am ZfsL in Düsseldorf und war dort maßgeblich an der Organisation mehrerer Gedenkstättenfahrten mit Referendar*innen beteiligt.
Du hast als Fachleiterin am Seminar in Düsseldorf eine Reihe von Gedenkstättenfahrten mit Referendar*innen vorbereitet und organisiert und empfiehlst besonders das Ziel Natzweiler-Struthof. Warum?
Da gibt es drei wesentliche Aspekte: Einmal das Konzentrationslager selbst, dann die Nähe zu Straßburg und schließlich das Außenlager Neckarelz bei Heidelberg.
Wo liegt Natzweiler-Struthof und was kann man dort heute sehen?
Natzweiler-Struthof liegt im Elsaß, also in Frankreich, eine knappe Stunde Busfahrt von Straßburg entfernt. Es ist landschaftlich „bedrückend schön“ in einem Tal gelegen. Im Eingangsbereich gibt es ein Besucher-Zentrum u.a. mit einem Raum für die notwendigen Gespräche, zu sehen sind weiterhin die Villa des Kommandanten, das Lagertor, eine Gaskammer, eine Baracke mit einer Ausstellung, der Galgen zentral im Gelände, das Krematorium. Die Wohnbaracken sind nicht erhalten, ihre terrassenförmige Anordnung ist aber deutlich erkennbar.
Wie hast du diesen Gedenkstättenbesuch pädagogisch angelegt?
Ich empfehle sehr, die Handreichung der Landeszentrale für politische Bildung in Baden- Württemberg zu nutzen, eine Broschüre mit Material-CD für den Besuch dieses Konzentrationslagers. Damit können Schüler*innen in Gruppen eigenständig einen Rundgang durch das Lager gestalten. Es gibt Grundinformationen zu verschiedenen Stationen auf dem Gelände und jede Gruppe kann dann selbst entscheiden: Brauchen wir vertiefende Informationen, möchten wir den Bericht des Kommandanten lesen oder den Augenzeugenbericht eines Häftlings über seine Ankunft im Lager oder möchten wir am Galgen stehen und das einfach nur wahrnehmen. Bei einer geführten Tour haben die Teilnehmenden darüber kein Mitspracherecht. Dieses Material zur selbstständigen Erkundung ist einzigartig, ich kenne das von anderen Gedenkstätten nicht. Und unsere Referendar*innen haben es sehr verantwortungsvoll genutzt. Das Material ist gut didaktisiert, man blickt als Lehrer*in sofort durch. Wichtig ist: Diese Handreichung gibt es nicht in der Gedenkstätte selbst, man muss sie bei der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg bestellen. Es ist aber nicht nötig, ein Exemplar für jeden Teilnehmer zu kaufen, die wichtigsten Materialien lassen sich auch ausdrucken.
Du hast vom Außenlager Neckarelz gesprochen.
Natzweiler-Struthof war auch Verwaltungsstelle für eine ganze Reihe von Außenlagern. Der Autor der Broschüre, mit dem ich im Vorfeld sprach, machte mich auf das Außenlager in Neckarelz aufmerksam, das ist ein kleines Dorf in der Nähe von Heidelberg. In der Volksschule des Dorfes lebten Häftlinge, die tagsüber in einem nahe gelegenen Stollen Zwangsarbeit leisteten und Flugzeugmotoren herstellten. Sie wurden von bewaffneten Kräften morgens durch das Dorf zur Arbeit geführt und abends zurück in die Schule. Das geschah also in der Öffentlichkeit des Dorfes. Die Häftlinge mussten in Häftlingsuniform durch den Ort zum Stollen, waren im Dorf ganz klar sichtbar. Man kann auch den Stollen besichtigen. Eine Gruppe sehr engagierter Menschen, darunter mehrere ehemalige Lehrer, hat auf dem Gelände der Schule eine Gedenkstätte aufgebaut und ein gutes, schlüssiges didaktisches Konzept dazu entworfen. Die Ausstellung bietet viel Erfahrungs- und Gesprächsraum, viele konkrete Lernanlässe, Biografien von einzelnen Häftlingen und Ausstellungsstücke, die die Verbindung von Lager und Schule dokumentieren.
Für mich war besonders beeindruckend, in Neckarelz den Blick nicht nur auf Opfer und Täter richten zu können, sondern auf die Unbeteiligten, auf die Zuschauer, die als Dorfbewohner jeden Morgen und jeden Abend mitbekommen haben, wie die Häftlinge durchs Dorf geleitet wurden. Und die Dokumentation bezieht sich in großen Teilen auf die Frage, wie die Dorfbevölkerung mit der Situation umgegangen ist.
Genau. Der Hausmeister der Grundschule z.B. lebte mit seiner Frau und seinen Kindern in der Schule, also in unmittelbarer räumlicher Nähe zu den Häftlingen. Eine ganz besondere Situation, alltäglich und gleichzeitig ganz verquer! Ein Besuch dieses Ortes ist unbedingt lohnenswert, wir haben ihn auf der Rückfahrt von Straßburg nach Düsseldorf eingebaut, es ist nur ein kleiner „Umweg“. Übrigens gibt es nicht weit entfernt eine Jugendherberge, in der man mit Schüler*innen wohnen könnte
Sprechen wir über den dritten Aspekt: Straßburg.
Straßburg ist eine sehr schöne und sehr interessante Stadt. Der Europagedanke kommt in jedem Winkel dieser Stadt zum Tragen, und zwar in geschichtlichen Aspekten, die wir bei einer Stadtführung näher kennen gelernt haben, aber natürlich auch im Europaparlament und den europäischen Institutionen vor Ort.
Hier zeigt sich: Was war die Antwort der Menschen nach der Erfahrung des 2. Weltkrieges? Mit welchen Antworten sind sie in die Zukunft geschritten und wie können wir diesen Gedanken aufgreifen und weiterführen. Es bietet letztendlich eine Antwort auf die Frage, was wir jetzt tun können. Wenn man aus einem KZ kommt – und der Tag des KZ-Besuches ist immer ein „schwarzer Tag“, den die Teilnehmenden häufig in sich gekehrt, mit schweren Gedanken verbringen – , dann braucht man eine Antwort, man muss den Blick nach vorne richten, sonst ist es zu viel. Und das bietet Straßburg noch einmal anders als München oder Berlin, weil dieser Europa-Gedanke deutlich im Vordergrund steht. Das fand ich einzigartig.
Unabhängig von Natzweiler-Struthof und Straßburg: Welche Empfehlungen kannst du interessierten Kolleg*innen für die Vorbereitung einer Fahrt geben?
Nach meinen Erfahrungen ist es wichtig, rechtzeitig mit der Vorbereitung zu beginnen und mindestens ein Jahr Vorlauf einzuplanen, um sich zu informieren und Kontakt zu den Gedenkstätten herzustellen. Sinnvoll ist es, mit den Gedenkstättenpädagog*innen telefonisch Kontakt aufzunehmen, um sich im Detail über die Angebote der jeweiligen Einrichtung zu informieren und das für die Gruppe passende Programm abzusprechen. Ich habe im Vorfeld der Natzweiler-Fahrt das Konzentrationslager besucht und mit dem Autor der Broschüre gesprochen. Das war hilfreich, aber nicht zwingend notwendig. Wenn Kolleg*innen eine zweite oder dritte Fahrt an denselben Ort anbieten, vereinfacht das natürlich die Vorbereitung. Und eine letzte Erfahrung und Empfehlung: Für uns war es sehr produktiv, dass wir die Gedenkstättenfahrt im Team vorbereitet haben und die unterschiedlichen Perspektiven und Interessen der Beteiligten für das „Gesamtpaket“ (einschließlich der Kulturangebote, der Freizeit- und auch der Abendgestaltung) nutzen konnten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Gregor Randerath.