Fahrten in der Lehrerausbildung
Ein Gespräch mit Christoph Deußen vom ZfsL Düsseldorf
Sammlung Gedenkstätte Buchenwald, Foto: Katharina Brand
Gedenkstättenfahrten in der Lehrerausbildung
Christoph Deußen ist Leiter des Seminars Gesamtschule / Gymnasium am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung Düsseldorf
Worin liegt die besondere Bedeutung von Gedenkstättenfahrten in der Lehrerausbildung?
Unsere Lehramtsanwärter*innen sind ja Multiplikatoren, sie werden ihre Erfahrungen und Ideen nicht unbedingt an ihre Ausbildungsschulen tragen, aber vielleicht in ihre zukünftigen Schulen. Gerade vor dem Hintergrund, dass das Geschehene immer mehr zu Geschichte wird, muss es in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler erhalten bleiben, damit es nicht noch einmal passiert.
Viele Referendarinnen und Referendare geben uns die Rückmeldung, dass sie noch nie in einer Gedenkstätte waren – das ist eine Bestätigung für die Berechtigung unseres Angebotes. Die Rückmeldung der Lehramtsanwärter*innen auf die Fahrten ist durchweg positiv, häufig auch versehen mit kritisch-konstruktiven Vorschlägen zur Optimierung der Programmgestaltung.
Welchen Stellenwert haben die Gedenkstättenfahrten im Seminarprogramm – etwa im Vergleich zu anderen Exkursionen (z.B. in den Fächern Sport, Biologie, Deutsch, Kunst…)?
Wir haben die Gedenkstättenfahrt zum festen Bestandteil des Seminarprogramms gemacht. Organisatorische Konsequenz ist, dass andere Exkursionen nicht zeitgleich oder in zeitlicher Nähe stattfinden dürfen. Lehramtsanwärter*innen dürfen allerdings an mehreren Fahrten teilnehmen. Übrigens fahren auch immer FachleiterInnen und Fachleiter mit, auch Fachleitungen sind Multiplikatoren – und im Übrigen kommt hier die Akzeptanz der Gedenkstättenfahrten deutlich zum Ausdruck.
Zur Information
Seit 2011 bietet das Seminar in jedem Ausbildungsjahrgang eine
Gedenkstättenfahrt an,
- jeweils als Angebot an die LAA aller Fächer,
- jeweils von Mittwoch bis Samstag,
- jeweils verbunden mit dem Besuch kultureller Attraktionen.
- Die bisherigen Ziele waren:
- Buchenwald / Weimar
- Dachau / München
- Sachsenhausen / Berlin
- Auschwitz / Krakau
- Natzweiler- Struthof / Neckarelz / Straßburg.
Die Zahl der Teilnehmer*innen liegt jeweils bei 70 – 80 Personen, das bedeutet, dass etwa 30 % aller Lehramtsanwärter*innen des jeweiligen Ausbildungsjahrgangs teilnehmen.
Wie verläuft die Kommunikation zwischen dem Seminar und den beteiligten Schulen?
Die Schulen haben es akzeptiert, dass die Teilnehmenden an zwei Tagen nicht für ihre Unterrichtsverpflichtungen zur Verfügung stehen. Wichtig ist, dass wir den Termin der Fahrt sehr frühzeitig kommunizieren. Allerdings haben wir es bisher dem Zufall überlassen, nach der Fahrt die Erfahrungen der Teilnehmenden in die Schulen zu transportieren. Ausgesprochen gut war es, dass wir nach der vorletzten Fahrt interessierte Kolleginnen/Kollegen und Fahrtteilnehmer*Innen ins Seminar zum Informationsaustausch eingeladen haben und es zum Dialog nach der Fahrt kam. Diesen Ansatz haben wir bislang aber nicht weitergeführt.
Wie wird der Informationsfluss innerhalb des Seminars gestaltet? Also: Wie wird für die Fahrt geworben und wie wird die Kommunikation zwischen den Teilnehmenden und den Nicht-Teilnehmenden organisiert?
Bislang erfolgte die Werbung für die Fahrt und die Vorbereitung in schriftlicher Form, z.B. über Newsletter („Neuigkeitenbriefe“). Das wollen wir bei der nächsten Fahrt ändern und den Ausbildungsjahrgang im Rahmen der Kernseminartage in den ersten beiden Wochen der Ausbildung mündlich
informieren, und zwar sollen das die KollegInnen und Kollegen übernehmen, die bereits an früheren Fahrten teilgenommen haben. Die „Daheim Gebliebenen“ bearbeiten im Kernseminar den berühmten Adorno-Text über Erziehung zur Mündigkeit / Erziehung nach Auschwitz. Ich habe immer noch die Idee, dass dies ausgeweitet wird und dieLehramtsanwärter*innen, die hier bleiben, Erkundungen anstellen, z.B. im Schlachthof, in der Mahn- und Gedenkstätte, in Bezug auf Stolpersteine u.ä.. Davon erhoffe ich mir einen Dialog zwischen den Teilnehmer*innen der Fahrt und denen, die nicht mitfahren, über Fragen wie: Was haben wir erlebt – was habt ihr erlebt? Welchen Raum sollten diese Erfahrungen in der Schule einnehmen? Warum behandeln wir dieses Thema im Seminar? Was bedeutet dies für unser Bild von Schule? Dieses Erleben und der Dialog über diese Fragen kommen bislang zu kurz.
- Haben sich im Laufe der Jahre bestimmte Gelingensbedingungen (oder Stolpersteine) herauskristallisiert?
- Wichtig ist, dass die Teilnahme freiwillig ist. Jeder muss für sich entscheiden können, ob er / sie teilnehmen kann und möchte. Gerade Seiteneinsteiger*innen sehen sich häufig unter Zeitdruck, bei der letzten Fahrt ist nur eine von 12 mitgefahren.
- Wichtig ist, dass die Teilnehmer*innen in den Gedenkstätten nicht mit ihren Emotionen allein gelassen werden, notwendig sind Erläuterungen, Informationen, Gespräche.
● Sehr wichtig ist, Raum für den gemeinsamen Austausch während der Fahrt einzuplanen. Ein solcher Austausch ist sehr wichtig und und wird von Teilnehmer*innen gewünscht. Das muss bei der Buchung der Unterkünfte berücksichtigt werden. - Und wichtig ist, neben den dunklen Seiten auch Entspannung zu bieten, ins Theater zu gehen, fröhliche Bilder zuzulassen. Beispielhaft zu nennen ist hier die Tischtennisplatte in der Begegnungsstätte in Oswiecim / Auschwitz. Diese „fröhlichen Bilder“ sind notwendig, um das Gesehene aufarbeiten zu können.
- Besonders gelungen fand ich die Fahrten nach Straßburg und Berlin, und zwar weil es hier ein vielfältiges Angebot an weiteren Zielen gab. In Berlin gab es die Möglichkeit, die Geschichte der DDR anzuschauen, in Straßburg gab es die Verbindung zum Europa-Parlament, eine sehr gelungene Verbindung von rückwärts Gewandtem und Zukunfts- Gewandtem. Hinzu kommt der Besuch in Neckarelz auf dem Rückweg aus Straßburg, bei dem sehr deutlich wird: Niemand kann sagen, er habe es nicht gewusst. (vgl. den Beitrag von Silvia Savelsberg). Für mich war Straßburg deshalb der beste Ort.
Vielen Dank für das Gespräch.
Gregor Randerath, Juli 2019