Dr. Elke Gryglewski, Haus der Wannsee-Konferenz
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Benötigen Jugendliche mit Migrationshintergrund eine besondere Form der Vorbereitung auf eine Gedenkstättenfahrt?
Kommentar von Dr. Elke Gryglewski, stellvertretende Direktorin und Leiterin der Bildungsabteilung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
Seit fast zwanzig Jahren wird die Frage diskutiert, ob es für die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und der Shoah besonderer Konzepte und Methoden für Jugendliche mit sogenanntem Migrationshintergrund bedarf. Vielfach wurde diese Diskussion in positiver Absicht geführt – dem Anspruch, diese wichtige Geschichte allen zugängig zu machen. Dennoch trug und trägt auch sie dazu bei, Jugendliche (und inzwischen Erwachsene), die vermeintlich keinen biografischen Bezug zu dieser Geschichte haben, zu vermeintlich Anderen zu machen und sie auf ihre ethnische Herkunft zu reduzieren. Anderen, denen es angeblich schwerer fällt einen Bezug zu dieser Geschichte herzustellen. Andere als die weißen Deutschen, denen es in diesem Narrativ angeblich nicht nur leichter fällt, sich der Geschichte anzunähern, sondern die angeblich auch offen für die Geschichte und den daraus zu ziehenden Lehren sind. Dass dies nicht stimmt, zeigen die schon immer existenten und in den letzten Jahren lauter werdenden Stimmen, die eine Kehrtwende in der Erinnerungskultur fordern. Gleichzeitig haben didaktische Ansätze zum Umgang mit kultureller Diversität gezeigt, dass alle Teilnehmenden pädagogischer Veranstaltungen in schulischen und außerschulischen Kontexten dankbar auf Methoden reagieren, die nicht von einer Homogenität der Gruppe ausgehen. So konnten sinnvolle und wichtige Ansätze identifiziert werden, die letztlich der gesellschaftlichen Vielfalt jenseits von ethnischer Herkunft gerecht werden. Um den unterschiedlichen Perspektiven und Bedürfnissen von Lernenden zu entsprechen, sollten Pädagoginnen und Pädagogen vom Gegenstand her denken. Was soll eine Person zu einem bestimmten Gegenstand lernen? Was ist für sie wichtig zu wissen? Warum ist ein Thema für jemand/alle relevant?
Die in diesem Kontext genutzten Methoden sollten Freiräume anbieten, die eine individuelle Perspektive auf den spezifischen Gegenstand richten können. Was verbinde ich mit diesem Thema? Was sind meine Fragen an das Thema? Vor allem aber sollten Pädagoginnen und Pädagogen im schulischen und außerschulischen Bereich regelmäßig ihre Haltung reflektieren. Welches ist ihr persönlicher Bezug zur Geschichte? Wo reagieren sie besonders empfindlich und missverstehen womöglich Fragen oder Aussagen ihrer Zielgruppen (beispielsweise, wenn Jugendliche bei ihrer Suche nach Orientierung Aktualisierungen oder Vergleiche zu gegenwärtigen Kontexten herstellen)? Sehen wir die Auseinandersetzung mit dem NS und der Shoah als eine schwierige Herausforderung? Wie definieren wir Vielfalt? Diese und andere Fragen immer wieder im Austausch mit Kolleg*innen zu bedenken und die eigene Position zu hinterfragen und zu überdenken, ist die wichtigste Grundlage für eine nachhaltige Beschäftigung mit der Geschichte des Nationalsozialismus, den damals begangenen Verbrechen und ihren bis heute andauernden Folgen. Und es ist eine grundlegende Voraussetzung für eine gesellschaftliche Erinnerungskultur, an der alle teilhaben können.
Eine nicht exkludierende oder exklusive Erinnerungskultur.