„Wenn sich jemand offen rassistisch äußert, dann kriegt er eine Ansage aus dem Fan-Block.“
Ein Gespräch mit Thomas Lükewille, Teamleiter des Fanprojekts Wuppertal über historisch-politische Bildung in der Arbeit mit Fußball-Fans des Wuppertaler SV
Fanprojekte sind Einrichtungen der Jugendhilfe (nicht der Fußball-Vereine). Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter verfolgen das Ziel, eine positive Fankultur zu entwickeln, Fanverhalten ohne Gewalt, Diskriminierung und Feindbilder zu stärken. Darüber hinaus unterstützen sie junge Fußballfans in problematischen Lebenslagen und versuchen, sie in aufsuchender Sozialarbeit vor abweichendem Verhalten zu bewahren.
Wie sieht eure Arbeit mit den Fans in Wuppertal konkret aus?
Wir begleiten die Fans bei Heim- und Auswärtsspielen, die Zeit vor, während und nach den Spielen ist die zentrale Begegnungsmöglichkeit. Drei Stunden vor Heimspielen treffen sich die Fans in ihren Räumen, wir sind dabei und gern gesehene Gäste.
Darüber hinaus machen wir folgende Angebote:
- eine wöchentliche Online-Sprechstunde
- Einzelfallhilfen, z.B. bei Stadionverboten oder Strafverfahren
- regelmäßige Gruppentreffen
- Workshops zum Thema Flucht und Migration in Zusammenarbeit mit Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen
- freizeit- und erlebnispädagogische Aktionen, z.B. Tagesausflüge oder Feriencamps
- Projekte zur historisch-politischen Bildung.
Kannst du eure Zielgruppe näher beschreiben?
Unsere Zielgruppe sind Fußballfans im Alter von 12 – 27 Jahren, die sog. Ultras, sie sind zu 95 % männlich und deutsch. In Wuppertal gehören im Kern etwa 100 Personen im Alter von 16 – 30 Jahren dazu.
Was bietet ihr zur historisch-politischen Bildung an?
- Gedenkstättenfahrten
Am Beginn unserer Arbeit stand das Angebot von Gedenkstättenfahrten, nach Israel und nach Dachau. Es war interessant, aber nur die sowieso schon Interessierten haben sich gemeldet. Wir haben mit dem Angebot nicht die Jugendlichen erreicht, die wir erreichen wollten.
- Unsere „Erinnerungstour“ zu Gedenkorten in Wuppertal
Wir haben festgestellt, dass wir mit dem Blick auf lokale Gedenkorte mit Fußballbezug mehr Jugendliche erreichen und dass dies für das Verständnis und die Empathie der Jugendlichen wichtig ist. Daher haben wir eine „Erinnerungstour“ mit 10 Stationen in Wuppertal entwickelt, die wir zwei- bis viermal pro Jahr anbieten und auch Schulen anbieten. Die Gedenkorte haben meist einen Bezug zum Fußball, z.B. das Stadion am Zoo, den Vorgänger-Verein des Wuppertaler SV, Spieler des Vorgänger-Vereins, die deportiert wurden, aber auch die Bayer AG.
Unsere Teilnehmenden sind z.B. immer wieder erstaunt zu hören, dass die meistbesuchte Veranstaltung, die jemals im Stadion am Zoo stattgefunden hat, eine Rede von Adolf Hitler war.
- Workshops zum Thema „Flucht, Migration und Fußball“ Die Teilnehmenden werden hier für die Situation Geflüchteter sensibilisiert und sie können durch die Anknüpfung an die eigene Lebenswelt einen persönlichen Zugang zu diesem Thema finden. Dabei nutzen wir die im Fanprojekt Köln erarbeitete Ausstellung „Flucht, Migration und Fußball“. (siehe die dazu gehörige gleichnamige Broschüre mit pädagogisch-didaktischen Materialien).
- Workshops zum Thema Antisemitismus Das sind in der Regel Projekttage mit Schulklassen, die wir gemeinsam mit dem Projekt Zweitzeugen im Stadion am Zoo veranstalten.
Wieso gehören solche politisch-historischen Bildungsangebote zur Arbeit mit Fußballfans und kannst du etwas zur Wirkung eurer Arbeit sagen?
Unser übergeordnetes Ziel ist die Anti-Diskriminierungsarbeit. Wir stärken die positive Fankultur, das bedeutet: keine Gewalt, kein Denken in Feindbildern, kein Rassismus, keine Diskriminierung wegen Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht.
In der Fußballszene begegnen dir aber alle Formen von Diskriminierung.
In unseren Workshops zum Thema Flucht, Migration und Fußball und Antisemitismus gelingt es uns immer wieder gut, zu sensibilisieren, durch Perspektivwechsel Empathie zu fördern, durch Informationen über die Hintergründe zum Nachdenken anzuregen. Im letzten Jahr haben ca. 25 dieser Workshops stattgefunden.
Ein anderer Aspekt: Wir haben in unserem Team vor eineinhalb Jahren sehr bewusst eine Sozialarbeiterin eingestellt, sie wird respektiert und akzeptiert und trägt sehr deutlich dazu bei, dass sexistische Sprüche in der Fanszene schwieriger werden.
Wichtig sind der persönliche Kontakt und das Vertrauensverhältnis, das wir über Jahre zu den Fans aufbauen. Der Spieltag ist der Treffpunkt schlechthin. Bei den Heimspielen treffen wir die Fans drei Stunden vor Anpfiff, bei den Auswärtsspielen sind wir in den Bussen, Bahnen und PKWs dabei und verbringen viel Zeit mit den Fans. Da entsteht die Basis, um Fans direkt anzusprechen oder Wortführer zu ermutigen, gegen diskriminierende Äußerungen Stellung zu beziehen. Manche 28 Jährige kennen wir, seitdem sie 18 sind und das sind genau diejenigen, die in ihren Gruppen etwas vorgeben.
Wenn sich jemand offen rassistisch äußert, dann wird ihm eine Ansage gemacht.
Natürlich lässt sich der Erfolg unserer Arbeit nur schwer objektiv messen, aber wir haben den Eindruck, dass alle die beschriebenen Aktivitäten zusammen genommen eine sehr positive Wirkung auf die Fankultur in Wuppertal haben.
Danke für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!!
Hinweis: Die Ausstellung „Flucht, Migration und Fußball“ kann als Wanderausstellung über das Kölner Fanprojekt unter https://koelnerfanprojekt.de ausgeliehen werden. Hier gibt es auch die ergänzende Broschüre: „Flucht und Fußball. Hintergründe und Einblicke mit Materialien für die pädagogische Arbeit.“ als kostenlosen Download.