Gespräch mit Sven Wolf, Mitglied des Landtags NRW am 19.6.2024
- Landtagsabgeordneter in NRW für den Wahlkreis Remscheid seit 2010
- Mitglied der SPD-Fraktion
- Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses des Landtags (von 2015 bis 2017)
- Initiator des überparteilichen Beschlusses (siehe unten)
Der Landtag NRW fasste am 25.04.2023 folgenden Beschluss:
„Der Landtag beauftragt die Landesregierung, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit haben, einmal im Laufe seiner bzw. ihrer Schulzeit eine Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus zu besuchen.“ (Auszug aus: Landtag NRW, Drucksache 18/4124)
Anlass für diesen Beschluss ist der 80. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto. Der Beschluss wurde in einer gemeinsamen Initiative von CDU, SPD, Grünen und FDP eingebracht, alle demokratischen Parteien stimmten zu, ebenso die AFD.
Sven Wolf…
…zu den Hintergründen des Beschlusses:
Junge Menschen müssen immer wieder daran erinnert werden, dass sie keine persönliche Schuld haben, aber eine historische Verantwortung tragen. Da es demnächst immer weniger Zeitzeugen gibt, bieten besonders die Gedenkstätten die Gelegenheit, über das zivilisatorische Versagen zu informieren. Dies wirkt nachhaltiger als ein Buch zu lesen.
…zur Frage, ob Gedenkstättenfahrten verbindlich vorgeschrieben werden sollen:
Der Landtagsbeschluss bedeutet keine Verpflichtung, sondern eine Ermöglichung. Er bietet die Möglichkeit, in die Diskussion über Verpflichtung einzusteigen. Ich persönlich halte eine Verpflichtung für hilfreich und absolut sinnvoll. Die personalen und finanziellen Mittel müssen dann verbindlich zur Verfügung gestellt werden. „Ich würde es gerne ein bisschen mehr verbindlich machen, damit das neben den vielfältigen Aufgaben, die Lehrerinnen und Lehrer für unsere Gesellschaft erfüllen, nicht runterfällt.“ Und alle in Deutschland Lebenden, auch Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, haben die historische Verantwortung, dass nie wieder „Demokratie weggegeben wird.“ „Diese humanitäre Herausforderung betrifft uns alle.“
…zur Frage, wie ein Besuch aller Schülerinnen und Schüler praktisch zu realisieren ist:
Es muss nicht immer eine aufwändige Reise nach Polen sein. In NRW gibt es weit über 30 Gedenkstätten, die oft über ein hervorragendes pädagogisches Konzept verfügen und gut erreichbar sind. Gerade durch lokale Bezüge kann für Jugendliche eine ganz andere Nähe zu den Taten und ein persönlicher Bezug zu den Opfern hergestellt werden. Natürlich reicht ein Besuch in einer Gedenkstätte nicht aus, aber es ist wichtig, dass das Thema Nationalsozialismus stärker in den Schulen vermittelt wird, gerade angesichts der Tatsache, dass inzwischen die Feinde der Demokratie sogar im Landtag sitzen.
…zur Frage, welche „Voraussetzungen“ im Landtagsbeschluss gemeint sind:
Gedenkstättenfahrten sind „ein wichtiger Baustein im Erwachsenwerden von jungen Menschen.“ Dafür müssen dann die Voraussetzungen geschaffen werden. Im Wesentlichen geht es um personelle und finanzielle Ressourcen. Die Schulen brauchen insbesondere personelle Kapazitäten. Wenn eine Vorbereitung und eine Nachbereitung in den Schulen erfolgen sollen, muss das im Curriculum abgebildet und andere Themen müssen gekürzt werden oder ggfs. externe pädagogische Ressourcen eingekauft werden. Die Arbeit von externen Gedenkstättenpädagogen kann für die Schulen Entlastung und Bereicherung sein. In den MINT-Fächern gibt es dieses Verfahren bereits.
Wir bedanken uns für das Gespräch!
Ausblick:
Die CDU / CSU – Fraktion im Bundestag hat am 9.4.2024 folgenden Antrag eingebracht:
„Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf…
gemeinsam mit den Ländern darauf hinzuwirken, dass alle Schülerinnen und Schüler in Deutschland verpflichtend mit ausführlicher Vor- und Nachbereitung mindestens einmal im Laufe ihrer Schulzeit eingebettet in den Unterricht ein ehemaliges Konzentrationslager der NS-Diktatur besucht haben.“
Dieser Antrag ist noch nicht verabschiedet, er wird nach unseren Informationen zurzeit in den Ausschüssen beraten. Er geht deutlich weiter als der Landtags-Antrag: Ein Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers soll für Schülerinnen und Schüler verpflichtet gemacht werden. Damit scheiden zahlreiche NRW-Gedenkstätten aus.
Wir sind gespannt auf den weiteren Verlauf der Diskussion und die politischen Beschlüsse.